„Woher kommst Du? Aus Deutschland? So weit her! Und alles mit dem Motorrad? Prachtkerl!" – Irgendwann kann ich diese oder ähnliche Gespräche nicht mehr hören. Dabei will ich doch nur in Ruhe durch dieses Land fahren und hier und da Freunde und Bekannte besuchen. Aber in Russland ist man immer noch etwas Besonderes wenn man mit dem Motorrad die eine oder andere regionale Grenze überschreitet. Und davon gibt es genug. Für die Einreise in dieses Land hatte ich mir diesmal etwas Besonderes ausgedacht. Es ging von meiner Heimatstadt Lübeck und durch Südpolen, der Slowakei, Ungarn, Rumänien, Moldavien und Transnistrien nach Odessa und der Krim. Wunderschön schlängeln sich die Straßen durch die Kaparten. Ich besuche einige Klöster, die hier zum Weltkulturerbe gehören. Abseits gelegene Schotterpisten fordern das erste Mal meine GS. Natürlich verfahre ich mich auch, aber das ist nun einmal so, wenn man ohne GPS und High-Tech-Equipment fährt. Ich habe Urlaub und das Gespräch mit dem Dorfpolizisten oder dem Tankwart um die Ecke ist mir wichtiger als das Aufsuchen von Way-Points.

Meine erste Station ist Odessa. Mit widersprüchlichen Gefühlen betrachte ich die Stadt, die ich vor 3 Jahren schon einmal besuchte. Immer noch ist der Verfall groß. Auch wenn der Aufbauwille da ist, so fehlt überall das Geld. „Vor 200 Jahren begann der Aufbau der Stadt, vor 100 Jahren der Zerfall, jetzt wird es wieder 100 Jahre dauern bis Odessa im alten Glanz erstrahlt" ist ein gängiger Spruch. Nur wenige Denkmäler werden regelmäßig gepflegt und die meisten öffentlichen Gebäude werden auch in den nächsten 30 Jahren so aussehen, wie in den letzen 50 Jahren. Ich besuche die im Aufbau befindliche Sankt Peter Kirche, dem Bischofssitz der deutschen Lutheraner in der Ukraine. Obwohl von den Offiziellen niemand anwesend ist, bin ich begeistert, was hier in den letzten Jahren auch mit deutscher Hilfe geleistet wurde. Für die verstreut lebenden deutschstämmigen Ukrainer ist ein Begegnungszentrum mit Übernachtungsmöglichkeit im Entstehen. Hier können auch andere Reisende später eine Übernachtung erhalten. Die Kirche, die 1992 durch Brandstiftung völlig zerstört wurde, erstrahlt von außen in neuen Glanz. Im Innern ist hingegen noch viel zu tun. Mit diesen gemischten Eindrücken verlasse ich Odessa.

Bei meiner Fahrt durch die Süd-Ukraine bemerke ich, dass sich die Situation in den Häfen am Schwarzen Meer entspannt hat. Versperrten mir noch vor 3 Jahren riesige LKW-Kolonnen den Weg, um ihr Getreide in den Häfen umzuschlagen, so sind die neu errichteten großflächigen LKW-Parkplätze leer. Sei es, dass weniger transportiert wird oder dass die Infrastruktur besser ist, die Ursache ist für mich nicht erkennbar. Also fahre ich grübelnd weiter. Obwohl ich auf der Krim noch viele Sehenswürdigkeiten besuchen könnte, zieht es mich weiter in den Kaukasus, dem Hauptziel dieser Reise. Aber die Ukraine will mich nicht so einfach entlassen bzw. Russland mag mich nicht empfangen. Der Grenzübertritt dauert insgesamt 7 Stunden. Wieder einmal verstehe ich auf ukrainischer Seite kein Russisch und komme problemlos durch alle Kontrollen ohne irgendwelche „kleine Korruption" oder Betteleien nach Geschenken. Zwar werden auf russischer Seite EU-Bürger zuletzt abgefertigt, aber dank meiner hier wieder vorhandenen Russischkenntnisse erfolgt die Behandlung superfreundlich. Und dann geht doch einiges schief. Von der Fahrt nach Sotschi und dann quer durch das Gebirge wird mir von den Mitgliedern des Motorsportclub in Krasnodar abgeraten. „Dort gibt es nicht nur Bären und wir fahren da auch nicht lang"- so die eindeutige Aussage der Biker. Stattdessen soll ich noch zwei Wochen bei ihnen bleiben um am größten Biker-Treffen des Nord-Kaukasus und Süd-Russlands teilzunehmen. Zeit müsste man haben! In Baksan, dem Abzweig zum Elbrus, übernachte ich bei außerordentlich lieben Menschen. Es sind Kabardinen, eine von über 100 ethnischen Gruppen, die hier im Kaukasus leben. In diesen wenigen Stunden lerne ich Ihr hartes Leben in diesem ghettoartigen Dorf kennen, das ihnen die freie Ausübung ihres muslimischen Glaubens und ihrer Riten ermöglicht. 4 Kinder und 4 Erwachsene müssen mit 150 Euro im Monat auskommen. Das meiste steuern die beiden Alten mit ihrer Rente und der Arbeit in der Landwirtschaft zum Lebensunterhalt bei. Obwohl ich auch hier gedrängt werde länger zu bleiben, zieht es mich weiter zum Elbrus. Dieser empfängt mich mit Regen ab 2000 m. Warum muss ich alles 3 Mal machen, bis es klappt? Beim ersten mal kam ich nur bis zur Talstation in 2300 m, dann ging mein Motorrad kaputt. Diesmal komme ich wenigstens auf 3500 m Höhe. Wahrscheinlich werde ich erst beim nächsten Mal bis in das „ewige Eis" in Gipfelnähe vordringen. Frustriert begebe ich mich auf die Reise nach Wladikavkas, der Hauptstadt Nord-Ossetiens. Es grenzt an ein kleines Wunder, dass Eduard mich an einer Kreuzung mitten in der Stadt abfängt. Er wusste weder Zeit noch Ort, sondern nur den Tag meiner Ankunft! Welch ein Hallo! Bereits 2 Stunden später wusste jeder Biker in Wladikavkas: „Egon ist da!" Alle konnten sich an den verrückten Deutschen erinnern der vor 3 Jahren mit seiner BMW RT hier endgültig liegen geblieben war. Damals war mein Russisch so gut, dass ich Einige der Einheimischen, die neben ihrer Muttersprache Russisch als Zweitsprache lernen, verbessern konnte - das war damals DIE Sensation! Die Biker flickten damals die BMW so zusammen, dass die Kugellager aus einem sowjetischen Panzer noch in 50 Jahren in der RT halten werden. Auch bei Edwards Eltern war das Zimmer schon vorbereitet und der Begrüßungswodka stand auf dem Tisch. Es wurde eine lange Nacht.

Die Tage vergingen wie im Fluge. Eduard hatte sich frei genommen und so konnten wir überall unseren Besuch abstatten. Selbstverständlich zeigte er mir auch den Kaukasus, die Wehrtürme der Svanten (dem einzigen europäischen Volksstamm im Kaukasus), die Begräbnisstätten der Osseten, den Stalin in Gold auf seinem Sockel und vieles mehr. Ebenfalls unvergessen werden für mich die Eindrücke sein, die ich auf dem Biker-Festival der Klubs aus Süd-Russland, Karbadino-Balkarien, Norossetien und Tschetschenin gewann. So einen Massenauflauf wegen 30 Motorrädern habe ich noch nicht erlebt. Beinahe war die Polizei gezwungen Schlagstöcke gegen die Menge einzusetzen. Und als die Jungs erst anfingen ihre Kunststücke zu zeigen gerieten die Zuschauer zum Mob. Auch beim anschließenden offiziellen Empfang (ca. 4 Flaschen Wodka pro Person waren verfügbar!) gab es für mich viele Eindrücke.

Immer wenn es am Schönsten ist, soll man weiterfahren. Also ging es am nächsten Morgen durch die kalmykische Steppe nach Norden. Selten habe ich so ein flaches, trostloses Land gesehen. Es ist schwer auszumachen, wovon die wenigen Menschen hier leben. Dabei zeugen die Denkmäler unterwegs von einer reichen Kultur und Geschichte. Auch einige Denkmale aus dem großen Vaterländischen Krieg finden sich vereinzelt. Ich nähere mich Wolgograd, Stätte einer unerbittlichen Schlacht, bei den 1,5 Millionen Russen und ca. 400.000 deutsche und verbündetet Soldaten ihr Leben ließen und dieser Stadt den Titel „Heldenstadt" einbrachte. Entsprechend der russischen (sowjetischen) Tradition wird man allerorten daran erinnert. Natürlich besuche ich auch die beeindruckenden Monumentalbauwerke des Mamajew-Hügels mit der nötigen Ehrfurcht. Danach fällt es schwer sich auf den Spuren der deutschen „Kolonialisatoren" zu bewegen, die hier bereits vor über 200 Jahren siedelten. Abenteurer, politisch oder religiös Verfolgte oder einfach nur Leute die sich aus schrecklicher Armut befreien wollten, sie fanden unter einer weltoffenen russischen Regierung hier ein Domizil und konnten viel zur Entwicklung Russlands beitragen. Daran wurde ich auch auf der nächsten Station meiner Reise, in Moskau, erinnert. Zwar werden die Kunstwerke in der Tretjakow-Gemälde-Galerie noch immer von Tausenden Besuchern bewundert, aber es sind auffällig wenig Ausländer darunter, was bestimmt nicht daran liegt, dass Ausländer immer noch ein Vielfaches des „normalen" Eintrittspreises bezahlen müssen. In der Stadt selbst fällt der extensive Kaufrausch der Russen von Konsumgüter auf. Sicher ist das eine Reaktion auf die verfehlte Finanzpolitik der letzten 30 Jahre, bei der die Bürger mehrfach durch Geldentwertung um all ihre Ersparnisse gebracht wurden. Also fährt man den größten Lexus Geländewagen, wohnt aber mit seiner Familie in einer kleinen 2-Zimmer Wohnung aus Sowjet-Zeiten, an der 30 Jahre lang keine Reparatur durchgeführt wurde. Nur dank der vielen Rohstoffe kann man sich in Russland auch in den Zeiten einer Wirtschaftskrise ein wenig Nationalstolz leisten, der zwar immer unter einer Diktatur entstand, aber das Land groß gemacht hat. So verlasse ich nach vielen tiefgründigen Gesprächen mit unterschiedlichen Leuten diese Stadt. Ich begebe mich, vorbei an den vielen, nicht allzu gut gepflegten Monumenten des vergangenen Krieges mit den vielen Kränzen (welch ein Widerspruch!) auf den Rückweg.

Ach, die Ukraine. Auch hier im Norden der Ukraine merkt man allerorten den Verfall, die Korruption, die Stagnation im täglichen Leben (alles auch Auswirkungen der politischen Machtkämpfe). Ich besuche einige Einrichtungen für schwerhörende Kinder. Obwohl die materielle Ausstattung hinter der vergleichbarer Einrichtungen bei uns hinterher ist, so ist die personelle Ausstattung für bundesrepublikanische Verhältnisse paradiesisch. So müssen die Kinder trotz erheblicher Hörbehinderung durchschnittlich 5 Jahre auf ein ganz einfaches Hörgerät warten. Dafür erfolgt eine „rundum-Betreuung" in den Internaten durch außerordentlich hoch qualifiziertes pädagogisches Personal. Diesen Kindern aus überwiegend sozial schwachen Familien kann man so wenigstens ihre elementaren Grundbedürfnisse befriedigen. Für die technischen Details zeichneten sich Hörgeräteakustiker aus Vechta aus, die eine große materielle und handwerkliche Hilfe leisten, wovon ich mich überzeugen konnte, bevor es endgültig „nach Hause" ging.


Ein Resümee oder Fazit dieser Reise fällt schwer. Es sollte ein etwas längerer Trip werden und sicher waren 4 Wochen für diese Strecke sehr knapp bemessen. Andererseits wollte ich vieles Bekanntes wieder sehen, Freunde treffen und neue Freunde gewinnen. Das ist mir gelungen. Die für diese Reise tiefer gelegte F 800 GS entsprach meinen Bedürfnissen nach einem Reisemotorrad auch wenn es im Detail noch Verbesserungen geben wird. Aber sind diese Überlegungen nur der Abschluss einer längeren Reise oder schon die Vorbereitungen für eine weitere? Zu diesem Zeitpunkt kann ich die Frage auch noch nicht beantworten! Also warten wir es ab!

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