Ausgabe: 04/07
      Autor: Egon Milbrod
    
    
      
       Endlich 
      war es soweit. Der letzte Schultag war angebrochen, und ich konnte meine 
      Sachen packen. Grob wusste ich ja schon, was ich für die nächsten sechs 
      Wochen mitnehmen würde. Aber wie das alles in zwei Seitenkoffer 
      unterzubringen war, wusste ich nicht. Das Top-Case war für 
      Ersatzkleinteile und Souvenirs gedacht, und in der Rolle nahmen der 20 l 
      Kanister, die Konserven mit Lebensmittel und das Zelt den meisten Platz 
      weg. Noch schnell das Motorrad gewienert und dann begann die letzte Nacht. 
      Am nächsten Tag regnete es wie in Strömen. Hoffnung, dass es am Nachmittag 
      besser werden würde, gab es nicht. Pünktlich gegen 13 Uhr kam Hans, den 
      ich über Freunde kennen gelernt hatte, in Vollgummi aus Hannover an!
Endlich 
      war es soweit. Der letzte Schultag war angebrochen, und ich konnte meine 
      Sachen packen. Grob wusste ich ja schon, was ich für die nächsten sechs 
      Wochen mitnehmen würde. Aber wie das alles in zwei Seitenkoffer 
      unterzubringen war, wusste ich nicht. Das Top-Case war für 
      Ersatzkleinteile und Souvenirs gedacht, und in der Rolle nahmen der 20 l 
      Kanister, die Konserven mit Lebensmittel und das Zelt den meisten Platz 
      weg. Noch schnell das Motorrad gewienert und dann begann die letzte Nacht. 
      Am nächsten Tag regnete es wie in Strömen. Hoffnung, dass es am Nachmittag 
      besser werden würde, gab es nicht. Pünktlich gegen 13 Uhr kam Hans, den 
      ich über Freunde kennen gelernt hatte, in Vollgummi aus Hannover an! 
      So konnten meine neue Rukka-Kombi und der BMW-Systemhelm gleich ausgiebig 
      getestet werden. Die ersten Formulare für die Einreise nach Russland 
      wurden mit Hilfe der freundlichen Mitarbeiter beim Check-in auf der Fähre 
      in Rostock bereits ausgefüllt, und ich hatte wirklich alle erforderlichen 
      Unterlagen mit! 
      Die 36-stündige Fährfahrt verging relativ zügig. Ein mulmiges Gefühl hatte 
      ich schon! Mafia, polizeiliche Willkür, Armut, Gewalt… Russland eben, und 
      das nach einer Dreitägigen Episode im Vorjahr das erste Mal und diesmal 
      unorganisiert und auf eigene Faust. Doch welch ein Wunder: Die Abfertigung 
      in St. Petersburg dauerte keine zwei Stunden, und schon konnte ich gegen 
      11 Uhr Hans die wichtigsten Stellen in St. Petersburg zeigen, die ich aus 
      dem Vorjahr kannte. Nach einem kurzen Imbiss in der deutschen Kneipe „Tschaika” 
      wollte ich gerne raus aus der Stadt. 
      Das Verlassen der Stadt gestaltete sich nicht leicht. Die ersten Schrauben 
      lösten sich an meiner BMW, so dass ich schwer schalten konnte. Wie gut, 
      dass ich „Locktite” dabei hatte. Hinweisschilder für den Fernverkehr gab 
      es selten und wenn, dann waren die Orte nicht die, die ich kannte. 
      Ortskundige zu finden (auch an Tankstellen) war Glückssache. Doch wir 
      erreichten Tichwin und fanden das einzige Hotel der Stadt sofort. Normaler 
      russischer Standard, der bewachte Parkplatz leider etwas weit (ca. 1000 m) 
      weg. Dafür nette Bewacher, die sich über die Schachtel Zigaretten (Hans: 
      Wozu soll ich Zigaretten zollfrei kaufen?) sehr freuten. Statt Abendbrot 
      wurde die erste Etappe im Bierzelt begossen. Zu essen gab es gegrillte 
      Fleischstücke mit Brot und Ketchup, also Schaschlik. Egal, dafür schliefen 
      wir gut. 
      Tichwin ist eine Kreisstadt. Dieser Eigenschaft verdankt sie die Existenz 
      eines Hotels, welches das einzige im Umkreis von ca. 150 km ist. Wir 
      wollten nach Rybinsk, 500 km weiter südlich. Das dortige Hotel wurde mir 
      von einer Kontaktperson empfohlen, und wir blieben dort einen Tag. Wir 
      mussten entscheiden, wie wir weiter fahren würden. Die Strecke nach Workuta und dann den Ural südwärts hatte ich schon „abgehakt”. Hans setzte 
      sich durch, und wir beschlossen direkt zum Baikal zu fahren und dort 
      einige Tage ohne Stress zu verbringen. Irina, unsere Kontaktperson, 
      arbeitet für eine örtliche Zeitung. Gerne beantwortete ich ihre Fragen und 
      stellte fest, dass sie tatsächlich wesentliche Teile meines „Russisch” 
      verstand. Irina riet uns, nicht die M 7 über Kasan und den Ural zu nehmen, 
      sondern die innenpolitisch unbedenklichere Route über die M 5 und den 
      Südural. Als Gastgeschenk besorgte sie mir für mein Handy eine russische 
      Prepaid-Karte, damit ich in Russland zu ortsüblichen Tarifen telefonieren 
      konnte.
      So verließen wir die „Fischstadt” Rybinsk, durch deren See Mütterchen 
      Wolga (der russische Fluss schlechthin) fließt. Die Strecke bis Penza 
      führte uns östlich von Moskau durch die osteuropäische Tiefebene. 
      Bereits hier „kurz hinter Moskau” kann man einen Eindruck davon gewinnen, 
      mit welchen Entfernungen es die Menschen zu tun haben. In irgendeiner 
      kleineren Stadt frage ich mal wieder nach der Durchgangsstraße. Selbst der 
      Fahrer eines Kleintransporters konnte mir keine exakte Antwort geben. Ich 
      fragte, warum denn die Strecke für den Fernverkehr nicht ausgeschildert 
      sei?  Er zuckte nur hilflos mit den Achseln, ist halt so!
       Am 
      nächsten Tag, in wieder einer schlecht ausgeschilderten Stadt, bremste uns 
      ein Shiguli aus und zwei Männer stürzten heraus. Es folgte „Folklore”, wie 
      wir sie bereits häufiger erlebt hatten und später immer wieder erleben 
      würden: Woher, wohin, wie schnell sind die Maschinen und wie teuer. Wenn 
      die beiden nur nicht so stark nach Wodka gerochen hätten! (In Russland 
      gilt die 0,0 Promille Grenze!) Immerhin konnte sich der eine kaum auf den 
      Beinen halten! Ich ging nur kurz auf ihre Fragen ein und machte deutlich, 
      dass wir eine Tankstelle brauchten und dann schnell in Richtung „Autobahn” 
      wollten. Die beiden bedeuteten uns, ihnen zu folgen. Was soll’s, die 
      gemischten Gefühle bei der Fahrt über Hinterhöfe verschwanden etwas, als 
      wir an einer Tankstelle waren, die diesen Namen auch verdiente. Durch 
      unsere Begleiter wurde schnell der der Kontakt zu den Mitarbeitern der 
      Tankstelle hergestellt. Dabei stellte sich heraus, dass es sich um zwei 
      stadtbekannte „bunte Hunde” handelte, von denen der eine Polizist war. 
      Allerdings, so bedeutete er uns mit einem Anflug von Traurigkeit, in einem 
      Ort am Weißen Meer, 6000 km von hier, seinem Heimatort entfernt.
Am 
      nächsten Tag, in wieder einer schlecht ausgeschilderten Stadt, bremste uns 
      ein Shiguli aus und zwei Männer stürzten heraus. Es folgte „Folklore”, wie 
      wir sie bereits häufiger erlebt hatten und später immer wieder erleben 
      würden: Woher, wohin, wie schnell sind die Maschinen und wie teuer. Wenn 
      die beiden nur nicht so stark nach Wodka gerochen hätten! (In Russland 
      gilt die 0,0 Promille Grenze!) Immerhin konnte sich der eine kaum auf den 
      Beinen halten! Ich ging nur kurz auf ihre Fragen ein und machte deutlich, 
      dass wir eine Tankstelle brauchten und dann schnell in Richtung „Autobahn” 
      wollten. Die beiden bedeuteten uns, ihnen zu folgen. Was soll’s, die 
      gemischten Gefühle bei der Fahrt über Hinterhöfe verschwanden etwas, als 
      wir an einer Tankstelle waren, die diesen Namen auch verdiente. Durch 
      unsere Begleiter wurde schnell der der Kontakt zu den Mitarbeitern der 
      Tankstelle hergestellt. Dabei stellte sich heraus, dass es sich um zwei 
      stadtbekannte „bunte Hunde” handelte, von denen der eine Polizist war. 
      Allerdings, so bedeutete er uns mit einem Anflug von Traurigkeit, in einem 
      Ort am Weißen Meer, 6000 km von hier, seinem Heimatort entfernt. 
      Wir erreichten problemlos die M 5, die einzige Ost-West-Verbindung 
      zwischen Moskau und dem fernen Osten dieses Riesenlandes, welches immer 
      noch das größte Territorium auf der Welt besitzt. Täglich musste ich 
      mindestens einmal anhalten, um irgendwelche Schrauben anzuziehen und zu 
      sichern. Hier hatte Hans offensichtlich eine bessere Vorbereitung 
      getroffen! An seiner Suzuki schien alles in Ordnung zu sein, aber 
      spätestens jede Stunde mussten wir Pause machen, weil er tanken musste, 
      weil er nicht mehr sitzen konnte oder weil er Hunger hatte. Als er sich 
      wieder einmal zurückfallen ließ und auch nach längerer Zeit nicht 
      auftauchte, fuhr ich zurück. 
      Unbemerkt war ein Systemkoffer von meiner BMW-RT durch die vielen 
      Schlaglöcher abgebrochen und abgefallen. Dass die Telegabel mehrfach 
      durchschlug, das registrierte man noch, aber das mit dem Koffer hätte ich 
      alleine nie gemerkt! Da war ich doch ganz froh einen Begleiter zu haben.
      
      Vor Samara riet man uns, ein Hotel in Toglatti zu nehmen. Auf der Suche 
      nach diesem Hotel machten wir wieder eine „Stadtrundfahrt”, bis wir das 
      Hotel fanden. Nicht ganz billig (40 Euro) aber sauber und mit einer guten 
      Bar. Wir kamen mit Österreichern in Kontakt, die im dortigen Automobilwerk 
      Service leisteten. Das Einkommen eines russischen Arbeiters in diesem Werk 
      ist überdurchschnittlich und liegt zwischen 150 und 300 Euro monatlich. 
      Größter Arbeitgeber ist das Auto-Werk, weswegen die Stadt auf dem 
      Reißbrett konstruiert und gebaut wurde. Auf ca. 15 km2 wohnen und arbeiten 
      hier 750.000 Menschen. Zunächst wurde in den Siebzigern der Fiat als Lada 
      und Shiguli gebaut. Heute, und das kann man an den vielen Autotransporten 
      sehen, wird nicht nur der Lada Niva, sondern ein Teil der Produktion unter 
      dem Namen Chevrolet in alle Welt exportiert. 
      Der nächste Tag war durchwachsen, wie jeder Tag. Schwere Regenschauer 
      wechselten mit sonnigen Abschnitten. Die Straße war nicht schlechter als 
      die Landstraßen zu DDR-Zeiten. Nach einer kurzen Pause passierte es: Beim 
      Auffahren vom unbefestigten Bankett auf die Fahrbahn glitt mir das Heck 
      der BMW weg, und ich lag auf der Seite. Nach dem Aufrichten war nur der 
      Hilfsrahmen der Kanzel verbogen. Es müssen unsere „Richtversuche” gewesen 
      sein, bei denen Hans trotz aller Warnungen meinte, die Verkleidung nicht 
      abbauen zu müssen, jedenfalls hatte die Kanzel keine Verbindung mehr zum 
      Hauptrahmen. Schrammen an der Seitenverkleidung konnte ich verschmerzen, 
      jedoch zeigte sich bei der weiteren Fahrt, dass die Kanzel verdächtig 
      anfing zu arbeiten. Meine Kabelbinder halfen hier wenig und auch andere 
      Versuche mit Draht zeigten keine Wirkung. Die nächste BMW-Werkstatt war in 
      Jekaterinburg, ca. 1200 km entfernt. Dazwischen lagen Ufa und 
      Tscherljabinsk. In Ufa wollte das billigste Hotel 50 Euro für die Nacht 
      haben, was uns zu viel war. Ein jugendlicher BMW-PKW-Fahrer hielt neben 
      uns an, während wir noch berieten, was zu tun sei, und bestaunte die BMW 
      mit all ihren Blessuren und bot Hilfe an. Kreuz- und quer durch die Stadt 
      und durch den Stadtpark landeten wir an der Bjelaja und einem zu einem 
      Hotel umgebauten Wohnschiff. Der Übernachtungspreis ging in Ordnung, nur 
      mit den Motorrädern gab es Probleme. Doch für den Preis von fünf Euro 
      extra durften die Motorräder vor dem Schiff in Sichtweite des 
      Wachpersonals stehen bleiben. 
      Rustan, unser Begleiter, der alles für uns geregelt hatte, hörte sich mein 
      Problem mit dem Rahmen an. Er riet davon ab, die offizielle Werkstatt 
      aufzusuchen und vermittelte eine andere Werkstatt. 
      Die nächsten zwei Tage schleppten sich dahin. Die Kanzel arbeitete immer 
      mehr. In Jekaterinburg rief ich den Leiter der vermittelten Werkstatt, 
      Dennis, an, und er kam prompt mit seinem Mercedes angebraust und lotste 
      uns in eine Hinterhofwerkstatt, die wie ein Gefängnis schwer bewacht 
      wurde. Alles kein Problem, sagte er nach einem flüchtigen Blick, der 
      Guß-Rahmen würde geschweißt werden, und alles andere auch schon klappen. 
      Wir sollten uns nur erholen, und als Quartier schlugt er das nächste Hotel 
      vor. Das hatte aber vier Sterne und wollte 100 Dollar die Nacht und Nase. 
      Da hatte Dennis aber schon 20 Dollar runtergehandelt. Was soll’s, wenn 
      schon die Motorräder weg sind, dann will ich wenigstens gut schlafen! Wir 
      versuchten unser Nervosität zu verbergen und machen einen Stadtrundgang. 
      Die einzige Heldenstadt Russlands, die nicht unmittelbar von Krieg 
      betroffen war, verdiente den Titel durch die inzwischen daniederliegende 
      Schwerindustrie. Hier im ehemaligen Svertlowsk und im nahe liegenden (500 
      km) Tscherljabinsk, wurde unter anderem der berühmte Panzer T 34 gebaut.
      Den nächsten Tag verbrachten wir in der Werkstatt. Die BMW war bereits 
      zerlegt. Bis 16 Uhr waren alle Teile geschweißt, gerichtet und montiert, 
      einschließlich einer Probefahrt durch mich. Das alles geschah ohne 
      Originalteile, ohne Reparaturanleitung, ohne Spezialwerkzeug. Sogar der 
      Koffer war geklebt und abgebrochene Teile an der Kanzel befestigt worden. 
      Überglücklich, weil alles so glatt lief und all unsere Befürchtungen 
      grundlos waren, verließen wir die Stadt und „machten Strecke”. 
      Die Fahrt über Tjumen und Omsk nach Novosibirsk verlief unspektakulär. Das 
      sibirische Tiefland ist noch weiter als im europäischen Teil. Felder mit 
      einer Größe von 200 ha    werden unterbrochen durch Baumgruppen von 
      Birkenwäldern. In den Dörfern werden häufig Kartoffeln angebaut. 
      Zwischendurch laufen große Kuhherden über mäßig gute Weiden, die teilweise 
      von Reitern oder halbwüchsigen Jungen oder gar nicht bewacht wurden! Trotz 
      der einfachen Lebensweise scheint es an Nahrung nicht zu mangeln. Dies 
      bestätigte unterwegs auch ein Hotelier mit einer eindeutigen Handbewegung 
      in Höhe des Halses. 
      Novosibirsk selber ist die eigentliche Hauptstadt Sibiriens und liegt etwa 
      auf dem Breitengrad Berlins. Verkehrstechnisch gelangt man von hier aus 
      auf dem Landweg in die Mongolei und nach Kasachstan sowie in alle Gebiete 
      Sibiriens. Auf dem mächtigen Ob fährt man im Sommer bis in die Kara-See 
      und von dort aus nach Murmansk. Auf dem Luftweg sind alle Zentren Europas 
      und Asiens leicht erreichbar. Die Transsibirische Eisenbahn gilt immer 
      noch als Hauptverkehrsmittel für Massengüter. Nicht erst seit dem 
      Bürgerkrieg und den Bestrebungen Koltschaks gibt es einen Drang nach 
      Selbstständigkeit von Moskau, welches immerhin 4000 km entfernt ist. 
      Novosibirsk befindet sich in der Mitte Russlands. Neben der Sauberkeit 
      fallen einem Besucher die vielen Asiaten auf, von denen man schlecht nach 
      Japanern, Mongolen oder Ureinwohnern unterscheiden kann. Wir fanden Lokale 
      aller europäischen und asiatischen Küchen und auch der amerikanische 
      way-of-life ist in Novosibirsk vorhanden. 
      Bei einer Stadtführung erfuhren wir, daß der General und Gouverneur Lebed 
      viel für die wirtschaftliche Entwicklung der Region leistete. Das nahe 
      liegende Wasserkraftwerk am Ob wird im Winter wegen Eisgang abgeschaltet, 
      und Elektrizität und Fernwärme werden dann über Kohlekraft erzeugt. Mitte 
      Juli waren die Temperaturen bei erträglichen 25 °C. Bei einer Taxifahrt 
      versicherte man mir, dass das sehr schönes Wetter war: Mit +20 °C tagsüber 
      und -20 °C nachts. Ab ca. zwei Metern Tiefe herrscht bereits 
      Dauerfrostboden. Wir bemerkten dies immer in dem Moment, wenn sich die 
      Sonne hinter einer Wolke versteckte. Dann fingen wir immer an zu frösteln 
      und waren froh, einen Pullover dabei zu haben. 
      Wir verließen Novosibirsk und die Tiefebene und fuhren nach Krasnojarsk, 
      vorbei an den Ausläufern des Altai und den Bergbaugebieten von 
      Novokusnjetsk. Unser nächster Zwischenstopp war lange Zeit das 
      Wissenschaftszentrum des militärisch- industriellen Komplexes der alten 
      UdSSR und deshalb eine geschlossene Stadt. Michael, unser örtlicher 
      Begleiter, den ich über das Internet kennen gelernt hatte, ist Kinderarzt 
      und Mitglied im örtlichen Bikerclub. Das Clubheim befindet sich auf dem 
      Dampfer, der Lenin 1897 in die Verbannung nach Schuschenskoje brachte. 
      Weil Tamara, auch ein Mitglied des Clubs, beim staatlichen Sportfernsehen 
      als Redakteurin arbeitet, stand mit einem Mal ein Kamerateam vor dem 
      Clubheim, und wir wurden interviewt. Obwohl der Clip im Fernsehen nur drei 
      Minuten dauerte, machte das Team zwei Stunden Aufnahmen von uns, unseren 
      Maschinen und unseren Freunden. Nach einer Teepause machten wir eine 
      Ausfahrt mit den Bikern zum Wasserkraftwerk Dvinogorsk. Der Staudamm ist 
      1072 m breit und gemessen an der Stromerzeugung das größte Kraftwerk 
      Russlands. Der Stausee ist über 400 km lang und zieht sich durch 
      außerordentlich schöne Landschaften des Sajangebirges. Neben dem Kraftwerk 
      befindet sich eine Schiffshebeanlage um den Verkehr auf dem Fluss zu 
      gewährleisten. Schweren Herzens verließen wir Krasnojarsk, auch weil hier 
      in einer Woche ein großes russisches Bikertreffen stattfinden sollte. 
      Nachdem wir uns in Taischet noch einmal gut ausgeruht hatten, begann das 
      eigentliche Abenteuer Straße. Bedingt durch die Höhenzüge des Sajan, den 
      Dauerfrostboden in 1-1,5 m Tiefe und den gesamten Verkehr, der in 
      Ost-West-Richtung hier durch muss, glich die Straße häufig nicht einmal 
      einer Piste. Hinzu kamen die Feuchtigkeit von oben, die meiner Reise-BMW 
      nicht besonders gut tat. Aber auch Hans auf seinem Chopper sah nicht sehr 
      freundlich aus. Nach diesen 300 km war uns jedes Hotel recht, Hauptsache 
      wir konnten uns waschen! Zufällig gab es nur ein Hotel auf der 700 km 
      langen Strecke zwischen Taischet und Irkutsk. 
      Der Baikal empfing uns mit Regen und Temperaturen um 17 °C. Unser Weg 
      führte uns am Südufer des    Baikal vorbei durch gebirgige und teilweise 
      unbefestigte Streckenabschnitte. In Ulan-Ude, der Hauptstadt der 
      Burjatischen Republik, machten wir Rast. In dieser Stadt machten wir 
      interessante Entdeckungen. Es ist üblich, dass den ersten Schluck die 
      Erdgeister bekommen - wir befanden uns auf Schamanengebiet! Da hört man 
      auf einmal schlechtes Russisch und trifft eine deutsche Familie, die hier 
      drei Wochen Urlaub bei Freunden macht, sieben Zeitzonen von zu Hause weg. 
      Da trifft man auf den größten Lenin-Kopf der Welt, der zur Weltausstellung 
      in Montreal war und hier noch lange stehen wird. Da findet man in der Nähe 
      (Ivolgingk) das einzige Lama-Kloster, das die 80 Jahre Sozialismus 
      überstanden hat und an dessen Erweiterung fleißig gearbeitet wird. Oder 
      lag es alles am schönen Wetter, das uns diese Stadt so gut gefiel?
      Hans wollte unbedingt noch zur Insel Olchon. Also fuhren wir mit meinem 
      kaputten Reifen weiter. Ein Stein hatte sich seitlich in den Hinterreifen 
      gedrückt und ein großes Loch erzeugt. Zum Glück hatte ich einen 
      Technikkurs absolviert und wußte, wie man eine solche Reparatur mit 
      Bordmitteln ausführt. Der Reifen ließ zwar Luft, aber man konnte fahren, 
      also fuhren wir nach Irkutsk. Aber nicht zur Insel! Die 350 km von Irkutsk 
      nach Olchon machten wir mit dem Bus und ließen die Motorräder im Quartier. 
      Welch ein Glück, denn es ging wieder über Piste durch die steppenartige 
      Landschaft. Diesmal erwischte es den Bus, der zwar mit zwei Fahrern 
      besetzt war, aber nur einen Ersatzreifen mit hatte. Also kamen wir spät 
      abends an. Igor, der das einzige „Hotel” auf der Insel Olchon für 
      internationale Gäste besaß, quartierte uns in das Haus der „Sternflüstern”-Familie 
      ein. Flur, Küche und die zwei Räume waren nur durch Vorhänge abgeteilt! Im 
      Flur hinter dem Vorhang schlief ein jüngeres Mädchen, welches 
      offensichtlich zum Personal gehörte, wir Männer in einem Raum, zwei junge 
      Damen aus Novosibirk im anderen Raum und vor dem Haus im Auto zwei weitere 
      Personen - es war touristische Hauptsaison. Wasser zum Waschen stand für 
      alle im Eimer bereit, die Trocken-Toilette war sehr weit vom Haus weg. 
      Trotzdem war ich erstaunt, wie viele, insbesondere Deutsche, diesen Ort 
      aufsuchen, dessen einfache Schönheit den vielen russischen Dörfern 
      gleicht. 
       In 
      Irkutsk angekommen, mussten wir uns langsam für die Rückreise mit der 
      Transsibirischen Eisenbahn vorbereiten. Noch schnell Sightseeing, 
      einkaufen, verladen! Bedingt durch den häufigen Regen war der Boden total 
      aufgeweicht, die Straßen in einem erbärmlichen Zustand, mit großen 
      Frostaufbrüchen und riesigen Pfützen.
In 
      Irkutsk angekommen, mussten wir uns langsam für die Rückreise mit der 
      Transsibirischen Eisenbahn vorbereiten. Noch schnell Sightseeing, 
      einkaufen, verladen! Bedingt durch den häufigen Regen war der Boden total 
      aufgeweicht, die Straßen in einem erbärmlichen Zustand, mit großen 
      Frostaufbrüchen und riesigen Pfützen. 
      Uns erinnerte das überwältigend vielfältige Angebot in der Markthalle an 
      Europa. Es gab alles, von frischen Weintrauben bis zum Nordseeaal. Die 
      Preise waren nur wenig unter den deutschen, das aber bei weniger als 1/10 
      des deutschen Einkommens. Hier, am Beginn des östliche Sibiriens, noch 
      sehr weit weg vom der Region des Fernen Ostens Russlands, wachsen 
      klimatisch bedingt (wir befinden uns auf dem Breitengrad Münchens!) außer 
      ein paar Gurken, Waldbeeren und Pilzen, Kartoffeln und schnell wachsenden 
      Getreidesorten keinerlei vermarktungsfähige Produkte. Selbst Äpfel und 
      andere Obstsorten werden importiert. Der nahe chinesische und japanische 
      Markt sorgt für eine problemlose Versorgung. Es ist von allem genug da, 
      aber trotzdem müssen insbesondere viele ältere Menschen, deren staatliche 
      Vergünstigungen weg gefallen sind, mit ihren wenigen Rubel sparsam sein. 
      Selbst Tanja, unsere „gute Fee” vor Ort konnte diesen Eindruck nicht 
      zerstreuen. 
      Tanja war es auch, die die Formalitäten mit der Eisenbahngesellschaft 
      hervorragend managte. Ein Transport der Motorräder als Gepäck war nur 
      möglich, wenn die Tanks leer und zusätzlich mit Wasser gespült waren. Es 
      gab sogar Hilfe zum Verladen in den 1,5 m hohen Waggon: Zwei Männer und 
      eine Bohle! Obwohl wir für die gesamte Prozedur nur 20 Minuten Zeit 
      hatten, gelang uns auch dies. 
      Und so konnte die Rückreise unserer Tour beginnen. Vier Tage und Nächte 
      rumpelte der Kurzzug Nr. 9 mit 40 Waggons der Hauptstadt Moskau entgegen. 
      Zeit, die Landschaft zu genießen, die aus dem Zug gesehen schon eher der 
      Taiga entsprach, die ich aus den Filmen kannte. Zeit aber auch, zu 
      philosophieren, ob man das Land kennen gelernt hatte. Die Antwort fiel 
      vernichtend aus. Wir hatten zwar deutlich mehr gesehen und erlebt als 
      viele Menschen je erleben werden, aber kennen gelernt hatten wir diese 
      Land nicht. 
      Der traurige Armenier, dessen Familie vom Zaren und von den Kommunisten 
      aus religiösen Gründen verfolgt wurde und auch jetzt von den Russen, die 
      hier wohnen, diskriminiert wird, begleitete meine Gedanken. Die Usbekin, 
      die hierher geheiratet hatte als es noch Arbeit gab und uns spontan ein 
      Frühstück spendierte, als sie hörte wir seien aus Europa. Der Nachfahre 
      deutscher Siedler der sich wortlos zu uns an den Tisch setzte um wieder 
      ein wenig deutsch zu hören, ohne dass er es verstand. Der Milizionär, der 
      uns nur anhielt um in Ruhe die Motorräder bewundern zu können. Die vielen 
      jungen Leute, die diesem Land aus Idealismus die Treue halten, solange sie 
      noch Arbeit haben. Menschen, die keinen Alkohol trinken und deren 
      Gastfreundschaft alle Vorstellungen sprengte. Die vielen Sicherheitskräfte 
      in Uniform oder zivil, die dezent dafür sorgten, dass uns kein Leid 
      geschah und die Motorräder immer sicher aufbewahrt wurden. Das Ehepaar, 
      welches mit ihren zwei Söhnen im Lada nonstop von Sachalin zum Schwarzem 
      Meer 10.000 km fährt um eine Woche Urlaub zu machen.  War das schon 
      Russland, oder war das Sibirien? Aber auch Marek, der Pole aus Chicago, 
      der mit 4000 Dollar in der Tasche auf Weltumrundung mit seiner KTM war, 
      gehörte genauso zu meinen Gedanken, wie das ältere australische Ehepaar, 
      das sich den Traum einer Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn 
      erfüllte.
       Zu 
      unserer Überraschung standen in Moskau die Motorräder immer noch im 
      Gepäckwaggon auf dem Hauptständer, ohne irgendwie festgezurrt gewesen zu 
      sein. Es gab sogar richtige Bahnsteige - wir waren offensichtlich in 
      Europa angekommen. In Moskau besichtigten wir den Kreml und die Rüstkammer 
      der Zaren. Der Rote Platz empfing uns mit der Basilius Kathedrale und dem 
      Lenin Mausoleum. Im Kaufhaus GUM, welches schon vor über 100 Jahren im 
      Stile heutiger Einkaufspassagen über mehrere Stockwerke gebaut wurde, 
      kauften wir die üblichen Souvenirs und erholten uns bei Cappuccino. Ab 
      ging es über die Autobahn, die diesen Namen auch verdiente, in Richtung 
      St. Petersburg. Das Bernsteinzimmer in Puschkino lag auf dem Weg. Zum 
      Pflichtprogramm gehörte auch das Russische Museum mit Werken Repins und 
      Kardinskis.
Zu 
      unserer Überraschung standen in Moskau die Motorräder immer noch im 
      Gepäckwaggon auf dem Hauptständer, ohne irgendwie festgezurrt gewesen zu 
      sein. Es gab sogar richtige Bahnsteige - wir waren offensichtlich in 
      Europa angekommen. In Moskau besichtigten wir den Kreml und die Rüstkammer 
      der Zaren. Der Rote Platz empfing uns mit der Basilius Kathedrale und dem 
      Lenin Mausoleum. Im Kaufhaus GUM, welches schon vor über 100 Jahren im 
      Stile heutiger Einkaufspassagen über mehrere Stockwerke gebaut wurde, 
      kauften wir die üblichen Souvenirs und erholten uns bei Cappuccino. Ab 
      ging es über die Autobahn, die diesen Namen auch verdiente, in Richtung 
      St. Petersburg. Das Bernsteinzimmer in Puschkino lag auf dem Weg. Zum 
      Pflichtprogramm gehörte auch das Russische Museum mit Werken Repins und 
      Kardinskis. 
      Nach einer ruhigen Nacht begaben wir uns auf die ausgebuchte Fähre nach 
      Rostock. An Bord der Finnjet waren die Sorte Touristen, die bereits vor 
      der Abfahrt ein Taxi in Rostock orderten, die sich über die schlechten 
      Straßen in Petersburg beschwerten und über die schlechten Hotels und das 
      eintönige Essen klagten. Ich verkroch mich so gut es ging mit meinen 
      Erlebnissen und Erfahrungen.
      Der letzte Morgen auf See nach 36 Stunden Überfahrt brach an. Wir waren 
      nach sechs Wochen wieder zu Hause. Die Motorräder waren lädiert, aber 
      heil. Wir hatten das Gefühl, dem russischen Bären ein wenig am Fell 
      gekrault zu haben! 10000 km mehr zeigte mein Kilometerzähler. Und 
      Erfahrungen! Mit einem völlig neuen Gefühl begann ich am nächsten Morgen 
      meine eigentliche Arbeit und hörte mit Erstaunen, wie schön der Urlaub bei 
      den anderen Kollegen verlaufen war. Na ja: Der Himmel ist hoch, Moskau ist 
      weit, 100 Jahre sind keine Zeit und 1000 km keine Entfernung! 
      Russland, ich komme wieder!