Wenn ich mir im Nachhinein die Bilder dieser Reise betrachte, so beschleicht mich immer noch ein Glücksgefühl. Alle Erwartungen wurden erfüllt, ja sogar übertroffen.

Doch der Reihe nach!

Wieder einmal mache ich den Motorradtransport für Jürgen (www.mottouren.de). Was ich nicht ahne ist die Tatsache, dass ich am Ende 10 000 Bilder haben werde. Drei der insgesamt 10 Reiseteilnehmer kenne ich noch nicht. Wieder einmal nehmen wir die Fähre über die Ostsee um uns für die nächsten 4 Wochen kennenzulernen. Erwartungsgemäß ist Wyborg das Eintrittstor in die Russische Föderation. Das fängt schon beim Geldumtausch an, der nicht auf Anhieb klappt. In Petersburg sind wir in einem Hotel mit 2500 Betten untergebracht. Nachdem Europa Sanktionen gegen Russland verhängt hatte sind die asiatischen Reisegruppen allgegenwärtig sichtbar und unüberhörbar. Ganze Busladungen spucken im 5 Minuten-Takt neue Touristen aus diesen Ländern aus, die scheinbar das erste Mal in einem anderen Land und in einem Hotel sind. Das übliche Reiseprogramm für Petersburg lockere ich auf mit einem Besuch der St. Petri-Kirche und übergebe einige Spenden an den deutschen Pastor. Erst danach beginnt die eigentliche Reise. Zunächst fahren wir durch Karelien. Sortevala, ein eher verschlafenes Nest, ist der Ausgangspunkt für eine Überfahrt zur Insel Valaam. Ein sehr mystischer und geschichtsträchtiger Ort. Bei uns kennt man (wenn überhaupt) die Gesänge der Mönche dieses Klosters, das im Sommer täglich von bis zu 2000 Menschen besucht wird. Unsere Reiseleiterin spricht einen ausgesprochen angenehmen baltischen Akzent. Sie mag so um die 40 Jahre alt sein und weiß einfach alles. Weil sie den Sommer über im Kloster arbeitet, kennt sie auch alle Angestellten. Auch das Wetter spielt mit, so dass dieser Besuch zu den Höhepunkten dieser Reise gehört.

Einige mal setzte ich mich von der Gruppe ab, denn ich habe versprochen einen Vortrag über Karelien zu halten.. So besuche ein Museumsdorf. Die autonome Republik Karelien hat nur 3 Einw./km² (Deutschland 226 Einw./km²) und so ist erwartungsgemäß in diesem Museumsdorf „nicht viel los“! Anders am Wasserfall Kiwatch, der zeithöchste in Europa. Er ist gut ausgeschildert und es gibt viele Tafeln der Erklärung. Leider sind die interessantesten Steinbrüche, die ich auch gerne besichtigt hätte, weit ab von unserer Route, denn viel mehr hat Karelien nicht zu bieten. Später versuche ich noch die Petroglyfen zu besichtigen, doch das Hochwasser dieses Sommers macht meine Pläne zu Nichte. Also ist das „Standard-Programm“ angesagt. Dazu gehört auch Kishi, das zum Weltkulturerbe gehört und die bekannteste Sehenswürdigkeit in dieser Region ist. Karelien ist halb so groß wie Deutschland und wird von in- und ausländischen Touristen gerne besucht. Insbesondere die Flusskreuzfahrten von Moskau nach Petersburg sind bei Ausländern sehr begehrt. Leider regnet es (wieder einmal) sehr heftig bei unserem Besuch, dafür ist der Führer nicht nur wegen seiner guten Deutsch-Kenntnisse eine echte Bereicherung. Bereits zweimal war ich vorher hier, doch was ich diesmal alles sehe und höre übertrifft alles! Zurück in Petrosavosk begebe ich mich zur Residenz des orthodoxen Bischof in unserer Straße. Die Kontaktaufnahme ist nicht ganz einfach, doch auch hier lasse ich reichlich Spenden zurück.

Der Weißmeerkanal ist für mich DAS Symbol des Stalinistischen Terrors! Spätestens wenn man vor einem kleinen Wald steht und sich vergegenwärtigt, dass hier 8-12 000 Menschen verscharrt wurden, begreift man die Dimensionen dieser Herrschaft. Dagegen nehmen sich Memorials für die Gefallenen des Winterkrieges 1939/40 klein aus. Auch auf den Soloveki-Inseln, auf denen sich das gleichnamige Kloster befindet, wird man an diese Vergangenheit erinnert. Bis zu 150 000 Menschen waren auf diesen Inseln „untergebracht“, die der Nobelpreisträger Solschenitzin als „Archipel Gulag“ bezeichnete. Jetzt, wo das Kloster Weltkulturerbe ist, restauriert der Staat die Gebäude, denn die ca. 30 Mönche wären dazu nicht in der Lage.

Wir überqueren den Polarkreis. Eine kleine Zeremonie für die Neulinge ist schnell vorbereitet. Wir sind beinahe am Ende der Welt angekommen. Das Doppelzimmer kostet 80 Euro, der Bau ist aus den 70-iger Jahren und nur mit neuer Kalkfarbe renoviert, der Fahrstuhl wurde hier in Russland seit 1930 in Lizenz bis 1990 gebaut. An der Rezeption werden unsere Visa genau überprüft. Die Zimmerschlüssel werden persönlich ausgehändigt. Das Cafe wirkt auf einen nur in West-Europa Reisenden schlicht, ja nahezu spartanisch. Dafür sind die Speisen üppig und nicht so trocken. Im Gegensatz zu sonst gibt es zum Butterbrot – so heißt es auch im Russischen – sogar reichlich und streichbare Butter! In Relation zu den Möglichkeiten ist dies mit Abstand das beste Restaurant-Cafe das wir bisher hatten – zuvorkommende Bedienung, landestypische, schmackhafte und reichliche Speisen, die wir mit einem Wodka abrunden.

Apatit ist ein Wort, das ich vorher noch nicht kannte und noch lange im Gedächtnis behalten werde. Obwohl die Führung auf Englisch sein sollte, spricht die Museumsleiterin nur Russisch und ich soll übersetzen. Alles dreht sich in diesem Museum um das Mineral Apatit, seine Vorkommen, den Abbau und die Verwertung dieses Minerals. Jedoch viel mehr fasziniert mich die hervorragende Infrastruktur für die Wintersportarten in dieser Tundra-Landschaft. Die Städte und Dörfer hingegen sind eher trostlos, denn Arbeit gibt es seit Jahren nicht mehr und das Geld zum Umzug fehlt. Der eher mittelmäßig ausgelastete Hafen in Murmansk und die Flotte sind im weiten Umkreis die einzigen Arbeitgeber. Das wird uns erst richtig bewusst, als wir diese Stadt verlassen und in Richtung Norwegischer Grenze fahren. Kilometerlange Zäune, die die Militäranlagen vor neugierigen Blicken schützen sollen, begleiten uns entlang der Straße. Auch der deutsche Soldatenfriedhof für die Gefallenen der Eismeerfront 1940/41 war lange Zeit für Besucher nicht zugänglich.

Einen interessanten Gegensatz bildet die Schule für Schwerhörige und Blinde der Stadt Murmansk. Von außen ist es ein unscheinbares Gebäude mit großen Zäunen und fest verriegelten Toren. Klar, man will in Russland die Behinderten nicht in der Öffentlichkeit haben. Auch die Organisation unseres Besuches verlief eher konspirativ und über Kontaktpersonen. Nach der Begrüßung durch die Direktorin und der Vorstellungsrunde wurde die Atmosphäre jedoch freundlicher. Die gespendeten Hörgeräte und anderen Sachen wurden gerne entgegengenommen. Bei der Besichtigung waren wir sehr erstaunt. Die Ausrüstung der Schule ist deutlich besser als es in vielen Schulen in Deutschland der Fall ist. Insbesondere seit Russland die UNO-Behinderten-Konvention unterstützt, fließen auch hier Gelder zum Erhalt der Gebäude und für Ausrüstungen.

Wir besteigen in Norwegen ein Schiff der „Hurtig-Routen“. Es gelingt uns ohne nennenswerte Probleme in Honningsvag das Schiff zu verlassen und am frühen Morgen zum Nordkapp mit den Motorrädern zu fahren. Es ist, nicht nur wettertechnisch, einer der schönsten Tage den ich je erlebt habe! Im dritten Anlauf habe ich dieses Kap erreicht! Glücklich erreichen wir „auf den letzten Drücker“ unsere Fähre im nächsten Hafen.

Der Rest ist unspektakulär, skandinavisch eben! Die Lofoten zeigen sich von ihrer schönsten Seite. Herrliche Fotos, herrliche Landschaft! Leider wird dieser Teil vom Unfall eines unserer Teilnehmer überschattet. Der Beinbruch musste genagelt werden, so dass wir ihn im Krankenhaus zurücklassen. Der ADAC und seine private Versicherung sorgen für ihn. Von Narvik geht es quer durch Norwegen nach Schweden. Inzwischen ist uns die Landschaft der Tundra so vertraut, dass ich es mir vorstellen kann hier temporär zu leben. Auch ein Besuch auf der Husky-Farm kann diesen Gedanken nicht zerstreuen. Die Erzählungen, wie sich das Leben in den Wintermonaten abspielt, kann ich nachvollziehen. Zweimal war ich zur Oster-Zeit in dieser Gegend und konnte mir einen Eindruck verschaffen! Endlich kommen wir nach Kiruna. Ein Besuch an diesem Ort war schon immer ein Traum, jetzt bin ich da! Wir fahren in das weltgrößte Eisenerz-Bergwerk ein. Von der weltweit zweitgrößten magnetischen Anomalie bekommen wir nichts mit. Dafür wird bei der Führung darauf verwiesen, dass der Erzgehalt mit über 60 % weltweit seinesgleichen sucht. Ja, diese Stadt ist nicht nur wegen des Bergwerkes die weite Anreise wert.

Es geht nach Süd-Osten durch die Wälder Skandinaviens und vorbei an den Flüssen und Seen. Beim Aufenthalt in Rovaniemi gehört es zum Pflichtprogramm, das Weihnachtsmanndorf zu besuchen. Zufall oder Absicht, hier überquert man wieder den Polarkreis. Aber welch ein Unterschied zu dem Übertritt auf der russischen Seite. Dort Natur und ein verschandeltes Denkmal, hier Kommerz und selbst zur Sonntag-Morgen-Zeit Menschen über Menschen.

Wenn man sich nach so langer Zeit wieder Finnland und damit Finnisch-Karelien nähert, kommt man an der Kalevalla nicht vorbei. Diese Saga ist das Nationalepos der skandinavischen Völker und wurde von Generation zu Generation nur mündlich weitergegeben. Interessanterweise musste man den Sprechgesang auswendig lernen und durfte Nichts hinzufügen oder ausschmücken. Erst vor 150 Jahren wurde die Kalevalla durch Wander-Ethnografen aufgezeichnet. Dieses Kapitel hatte ich im Vorfeld überhaupt nicht beachtet, und so wird der Aufenthalt in Kuhmo zu einem echten „Bildungs-Urlaub“. Auch das Hotel fügt sich bescheiden und doch von sehr guter Qualität in die geschichtsträchtige Landschaft ein.

Auch wenn wir in Neu-Valaam Station machen, so merkt man zunehmend, dass dieser Urlaub zu Ende geht. Die Holzkirche der Lutheraner Kirche in Kerimäki wirkt inzwischen heimisch vertraut. Dennoch ist sie mit 3500 Plätzen die größte Holzkirche und konnte nur mit ausdrücklicher Genehmigung des russischen Zaren gebaut werden.

Je mehr wir uns der Ostsee nähern, desto mehr beschleicht einem die Traurigkeit, dass dieser schöne Urlaub zu Ende geht. Daran kann auch der Besuch bei Rukka, dem Hersteller der bekannten Motorradbekleidung, nicht viel ändern. Ehe wir uns versehen sind wir schon wieder auf der Fähre nach Deutschland. Zu Hause hilft Jürgen mir noch den 2 m großen Spiegel, den wir seit Petersburg durch Europa kutschieren, zu entladen. Da er sich noch in der Verpackung befindet können wir nicht überprüfen, ob er heil ist. Bald hat uns der Alltag wieder und nur die vielen Bilder sind Erinnerung an einen „Traum-Urlaub“, in dem sich so viele Träume erfüllten!

 

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